DAS KEMPTENER STADTMAGAZIN

IHK-Vorstand bewertet Pläne der Bundesregierung

„WIR WOLLEN GESTALTEN, NICHT NUR ÜBERLEBEN“

Wie die Allgäuer Wirtschaft die Pläne der Bundesregierung bewertet

Von Jörg Spielberg 

Seit rund drei Jahren stagniert die deutsche Wirtschaft und ist in puncto Wirtschaftswachstum auf einen der letzten Plätze im europäischen Ranking zurückgefallen. Die neue Bundesregierung plant durch umfängliche Reformen diesen Negativtrend zu stoppen und das Wachstum der Wirtschaft zu beleben. Mitglieder des Vorstands der IHK-Regionalversammlung Kempten-Oberallgäu haben dem Stadtmagazin Fragen dazu beantwortet, ob ihnen die Pläne ausreichend innovativ, wirkungsvoll und langfristig gedacht erscheinen.

 

Welche bürokratischen Vorschriften sollten aus Sicht Ihres Unternehmens als erstes wegfallen?

Stefan Topp im Gespräch

Dr. Stefan Topp, Geschäftsführer der TOPP Textil GmbH

„Grundsätzlich sollten alle Regelungen, Statistikerhebungen und Berichtspflichten auf den Prüfstand der Sinnhaftigkeit und Verhältnismäßigkeit gestellt werden. Aus unserer Sicht könnten viele Statistikerhebungen, einige zeitintensive und fehleranfällige Zoll- und Export-Dokumentationen, der Datenschutz und die IT-Dokumentation (DSGVO), arbeitsrechtliche Nachweise und die A1-Bescheinigungen ersatzlos gestrichen oder stark vereinfacht werden. Der bürokratische Aufwand der Umsetzung steht in vielen Betrieben in keinem Verhältnis zum Nutzen. Insbesondere die geplanten Zeiterfassungspflichten nach dem EuGH-Urteil wären ein weiteres Bürokratiemonster, das flexiblen oder projektbasierten Arbeitsmodellen und vermehrter Heimarbeit entgegensteht.“

 

Der Koalitionsvertrag sieht eine Mehrwertsteuersenkung auf Speisen in der Gastronomie auf sieben Prozent vor. Wird das zu einer Gastronomie-Belebung im Allgäu führen?

Julia Zwicker im Porträt

Julia Zwicker, Geschäftsführerin des Panoramahotels Oberjoch

„Die geplante Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Speisen auf sieben Prozent ist aus meiner Sicht längst überfällig und absolut notwendig. Viele gastronomische Betriebe stehen aktuell unter erheblichem wirtschaftlichen Druck, da insbesondere in den letzten ein bis zwei Jahren die Betriebskosten – etwa für Lebensmittel, Energie und Personal – stark gestiegen sind. Diese Steuersenkung darf daher nicht als Spielraum für Preissenkungen gegenüber den Gästen verstanden werden. Vielmehr benötigen wir Gastronomen diesen finanziellen Entlastungsspielraum, um weiterhin wirtschaftlich arbeiten zu können, faire Löhne zu zahlen und hochwertige Produkte einkaufen zu können. Eine unmittelbare Belebung im Sinne steigender Gästezahlen ist durch die Steuersenkung allein nicht zu erwarten.“

 

Ab dem Jahr 2028 soll die Körperschaftssteuer, die „Einkommenssteuer der Unternehmen“, in fünf Schritten um jeweils einen Prozentpunkt gesenkt werden. Nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Michael Pickert als Porträt

Michael Pickert, Geschäftsführer Staehlin GmbH

„Die angekündigte Senkung der Körperschaftsteuer ab 2028 um fünf Prozentpunkte – verteilt über fünf Jahre – klingt im ersten Moment positiv. Doch wenn man ehrlich ist: Für uns im Mittelstand ist das eher ein Tropfen auf den heißen Stein. Die tatsächliche Belastung liegt für uns weit über der reinen Körperschaftsteuer. Wir sind tagtäglich mit hohen Lohnnebenkosten, Bürokratie und wachsenden Berichtspflichten konfrontiert. Dazu kommen Herausforderungen wie der Fachkräftemangel, steigende Materialkosten und eine Investitionszurückhaltung, weil Planbarkeit und Vertrauen in die Politik fehlen. Eine echte Entlastung müsste breiter gedacht werden. Weniger Regulierung, schnellere Verfahren, gezielte Investitionsanreize, stabile Rahmenbedingungen – das wäre ein echtes Signal an den Mittelstand. Wir wollen nicht nur überleben, wir wollen gestalten.“

 

Die Bundesregierung plant für die Jahre 2025, 2026 und 2027 einen „Investitionsbooster“ mit Abschreibungen von jeweils 30 Prozent auf die Anschaffung von Ausrüstungsinvestitionen. Wie beurteilen Sie diese Maßnahme?

Dr. Stefan Topp, Geschäftsführer der TOPP Textil GmbH

„Wir halten diese Maßnahme sowohl für unser Unternehmen als auch für die deutsche Wirtschaft für äußerst sinnvoll, da sie einen nicht zu unterschätzenden Anreiz für Investitionen beispielsweise in den Bereichen Modernisierung, Nachhaltigkeit und Effizienz schafft und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärkt. Insbesondere ist dies vor dem Hintergrund einer signifikanten Investitionszurückhaltung der deutschen Industrie in den letzten Jahren zu sehen. Langfristig führt diese Maßnahme auch zu keinen steuerlichen Mindereinnahmen des Staates.“

 

Die Stromkosten sollen laut Plänen der Bundesregierung durch die Senkung der Netzentgelte reduziert werden. Ist diese Maßnahme zielführend oder irreführend, da die Energiewende eine Transformation des Stromnetzes zwingend erforderlich macht?

Michael Lucke im Porträt

Michael Lucke, Geschäftsführer ALLGÄUER ÜBERLANDWERK GmbH

„Die Senkung der Netzentgelte kann kurzfristig als entlastende Maßnahme sinnvoll sein, insbesondere zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Entlastung der Haushalte. Langfristig ist sie jedoch nicht nachhaltig, wenn sie nicht in ein transparentes, solides Finanzierungskonzept für die Energiewende eingebettet ist. Andernfalls handelt es sich um eine Kostenverschiebung, die die wahren Herausforderungen der Energiewende nicht darstellt.“

 

Warum finden immer mehr junge Menschen den Weg in den Hörsaal und immer weniger in die Lehrwerkstatt? Wie kann gerade das duale Ausbildungssystem gestärkt werden?

Manuel Burkart im Porträt

Manuel Burkart, Prokurist, BSG-Allgäu, Bau- und Siedlungsgenossenschaft eG

„Als eine Schwachstelle in der Bildungs- und Ausbildungspolitik sehe ich, dass über viele Jahre das Studium als Königsweg propagiert wurde, während die duale Ausbildung und das Handwerk an gesellschaftlichem Ansehen verloren haben. Eine gut strukturierte berufliche Orientierung findet in vielen Schulen, insbesondere an Gymnasien, kaum statt. Gleichzeitig fehlen den Berufsschulen oft moderne Ausstattung und ausreichend Lehrkräfte, was die Attraktivität bei jungen Menschen schmälert. Die Wahrnehmung, dass ein Studium mit Status und besseren Verdienstmöglichkeiten gleichgesetzt wird, Ausbildungsberufe dagegen häufig als körperlich hart und schlechter bezahlt gelten, muss sich wieder ändern – und das gelingt nur, wenn wir Ausbildungsberufe wieder attraktiver machen: durch faire Löhne, moderne Lernumgebungen und konkrete Aufstiegschancen. Es braucht aus meiner Sicht frischen Schwung: mehr Kooperationen zwischen Schulen und Betrieben, eine zeitgemäße Berufsorientierung und eine bessere Verzahnung von Theorie und Praxis.“

 

Foto: IHK