Mehr als Schubladenzieher
Von Anke Roser
Wer kennt sie nicht, die Bahnhof-Apotheke? Auf dem Weg von der Fußgängerzone zum Forum führt kein Weg an dem markanten Gebäude vorbei, das auch zum unverkennbaren Logo des Unternehmens geworden ist. Viele Menschen kommen von weither, um sich hier beraten zu lassen. Die Eigenprodukte sind im gesamten DACH-Raum und darüber hinaus bekannt. Einer der Urheber des Erfolgs ist Apotheker Dietmar Wolz, der gerade sein persönliches Jubiläum feiert: 40 Jahre in der Bahnhof-Apotheke.
Wenn das kein Anlass für ein Gespräch ist! Wir haben Dietmar Wolz in den Räumlichkeiten der Bahnhof-Apotheke getroffen, wo dank Echtholz-Einrichtung und durchdachter Akustik-Konzepte eine äußerst angenehme Gesprächsatmosphäre herrscht. Neben beruflichen Stationen haben wir auch über ganz persönliche Erlebnisse und Pläne gesprochen.
Herr Wolz, lassen Sie uns eine kleine Zeitreise machen: Wie hat vor 40 Jahren alles angefangen?
Ich war während meiner Wehrpflichtzeit hier als Sanitäter – und habe Kempten dabei kennen und schätzen gelernt. Nach meinem Pharmaziestudium in Tübingen, bei dem ich auch viel über die Homöopathie gelernt habe, und ein paar Stationen in verschiedenen Apotheken war schnell klar: Ich möchte selbstständig sein und eine Apotheke übernehmen. Mit 26 Jahren hielten mich jedoch viele für zu jung und unerfahren. Nicht so in Kempten: Hier gab es stolze 55 Bewerber – und die Apotheker-Familie Leiderer hat dennoch beschlossen mir das Vertrauen zu schenken. Mein Vater war Krankenpfleger, meine Mutter Hausfrau. Insofern konnte ich die Apotheke nicht kaufen, sondern habe sie lediglich gepachtet. So lange, bis klar war, ob die Enkelkinder des Gründers einsteigen möchten. Nach 15 Jahren konnte ich den Betrieb dann erwerben.
Was hat Ihnen damals besonders gut gefallen an der Bahnhof-Apotheke?
Es war eine Traditionsapotheke – 1949 gegründet – und eine von nur vier Apotheken in ganz Kempten. Dementsprechend hat sie die ganzen umliegenden Dörfer beliefert. Im Keller wurde jede Menge sogenanntes „Viehpulver“ gemischt und an die Bauern der Region verkauft. Dieses anfangs sehr florierende Geschäft kam zum Erliegen, als Tierärzte dazwischengeschaltet und die Mittel verschreibungspflichtig wurden. Aufgrund dieser Vorgeschichte war die Apotheke räumlich sehr groß – und das war genau, was ich wollte: viel Platz, um selbst pharmazeutische Produkte herzustellen. Denn ich wollte partout mehr sein als nur ein „Schubladenzieher“.
Was wollten Sie zusätzlich machen, welche Themen waren Ihnen wichtig?
Ich wollte zwei Dinge aufbauen: Eine ehrliche, ganzheitliche Beratung und eine eigene Herstellung von pflanzlichen Arzneimitteln. Wobei ich beim Thema Beratung erstmal Lehrgeld zahlen musste: Bei einem meiner ersten Verkaufsgespräche habe ich stolz eine ganze Litanei an Hustensäften aufgebaut und der Kundin alles detailliert erklärt. Anschließend fragte sie: Ja, und was soll ich jetzt nehmen? Das war ein Schlüsselerlebnis. Die Erwartungshaltung ist nicht, dass ich einen Vortrag halte, sondern dass ich mit meinem Wissen entscheide, was für die andere Person das Richtige ist. Was wiederum heißt, dass ich erstmal verstehen muss, was mein Gegenüber überhaupt möchte. Dass ich also zuhöre. Erst dann kann ich eine Empfehlung aussprechen, für ein allopathisches Mittel, ein naturheilkundliches – oder auch mal gar nichts.
Und wie kam die Sache mit den pflanzlichen Arzneimitteln in Gang?
Ich wollte damals mit rationaler Phytotherapie arbeiten, also mit Teeanwendungen und pflanzlichen Arzneien, die wissenschaftlich basiert sind. Im Gegensatz dazu gibt es auch die traditionelle Anwendung – die war am Anfang nicht so meins. Bis mir 1988 während der Schwangerschaft mit unserem ersten Sohn im Paarkurs Ingeborg Stadelmann über den Weg lief, die als Hausgeburtshebamme stark auf überliefertes Wissen setzte. Wir haben viel diskutiert. Und unsere Ideen dann einfach zusammengeworfen. Inge war fasziniert von der Wirkung ätherischer Öle, ich wollte paraffinfreie Kinderpflegeprodukte entwickeln. Als wir gerade angefangen hatten mit unseren Mischungen, besuchten wir einen Vortrag in Illertissen, bei dem der Referent aufgrund der Deutschen Bahn viel zu spät kam. Andere anwesende Hebammen forderten Inge auf, die Zeit zu überbrücken und etwas über die neuen Aroma-Mischungen zu erzählen – ihr erster Vortrag! Weil alle neugierig waren, bin ich zurück nach Kempten gefahren und habe eingepackt, was wir hatten: Babypflegeöl, Geburtsöl und Dammmassageöl. Das war unser Anfang.
Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit Frau Stadelmann organisiert?
Wir haben von Beginn an die Arbeitsteilung etabliert, dass die Bahnhof-Apotheke die Mischungen macht und sie die Bücher und Fortbildungen. Sie war und ist in ganz Deutschland unterrichtend unterwegs, bei Hebammen, in Arztpraxen und Apotheken, so dass die Original-Stadelmann-Aromamischungen längst weit über die Grenzen Kemptens hinaus bekannt sind. Wir als Bahnhof-Apotheke beschäftigen uns mit Rezepturen, Qualitätssicherung und Regulatorik und haben einen hoch spezialisierten Reinraum aufgebaut, in dem wir all unsere Aroma-Mischungen nach wie vor in kleinen Chargen selbst herstellen.
Was macht die Bahnhof-Apotheke einzigartig?
Wegen all der Pestizide und sonstigen Giftstoffe, mit denen unsere Pflanzenwelt großflächig konfrontiert ist, ist es schwierig gute Rohstoffe zu bekommen. Wir haben nur wenige Lieferanten, die alle genau wissen, dass wir eine ausgefeilte Analytik betreiben. Jeden Rohstoff, den wir einkaufen – egal ob Hilfsstoff oder Wirkstoff – schauen wir uns mit hochtechnologischen Verfahren wie Gaschromatographie oder Infrarotspektroskopie genau an. Auch die fertigen Mischungen werden nochmal mikrobiologisch geprüft. Diese Analytik und Akribie sind sicherlich ein Alleinstellungsmerkmal.
Was sind Ihre unternehmerischen Ziele? Wachstum? Neue Geschäftsfelder? Nichts verändern?
Wir möchten unsere Betriebsphilosophie nicht auf Wachstum ausrichten. Aber wir wollen unsere etwa 400 Arbeitsplätze und die Inhalte unserer Arbeit sichern. Das ist mit der wachsenden EU-Regulatorik gar nicht so einfach. Wir haben derzeit wenig Planungssicherheit, weil vieles auf dem Prüfstand steht. Fenchel, Lavendel, Teebaumöl – zahlreiche natürliche Wirkstoffe werden im Arzneimittel- und Kosmetikbereich zurückgedrängt. Insofern bedeutet Zukunftssicherheit für uns in erster Linie Wachheit: Wie gefährdet ist das, was wir tun? Was brauchen wir, um eine gute Versorgung sicherzustellen? Wie können wir das Fachwissen innerhalb unseres Teams sichern? Weil bei uns fast nur Frauen arbeiten, ist im diesem Kontext die Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheidend.
Was waren Ihre schönsten Momente mit der Bahnhof-Apotheke in den letzten 40 Jahren?
Ein cooler Moment war, als wir 1999 beim Umbau des benachbarten Deutschen Hofs auf dem Dachstuhl saßen, in die Ferne blickten und sagen konnten: So, geschafft, dieses Gebäude gehört uns, ist fertig und mit der Bahnhof-Apotheke verbunden. Auch die Eröffnung unserer Filiale am Klinikum 2010 war ein großes Ereignis. Und dass wir vor kurzem auf Basis von Mitarbeiterinterviews als eins der familienfreundlichsten Unternehmen Bayerns ausgezeichnet wurden, freut mich enorm. Das Berührendste aber sind persönliche Erlebnisse oder Gespräche mit einzelnen Menschen, aber auch zwei Überraschungsfeste oder eine ganz besondere Geburtstagskarte.
Was betrachten Sie als Ihre größten Erfolge?
Große hervorzuhebende Erfolge gibt es nicht – unser Erfolg ist unsere kontinuierliche, gute Entwicklung. Wir haben uns immer wieder neu orientiert, Bestehendes hinterfragt und Neues ausprobiert, etwa die Eröffnung des Naturkostladens PurNatur. Dafür haben wir ein System: Wenn drei Mitarbeiter:innen sich für ein Thema begeistern, fangen wir es an. Das lief auch beim Naturkosmetikstudio so. Oder bei der Tierberatung, die übrigens größtenteils von einer Mitarbeiterin geleistet wird, die schon seit 50 Jahren in der Bahnhof-Apotheke arbeitet. Der allergrößte Erfolg aber sind die vielen positiven Kundenrückmeldungen. Oft geht es um Mutter-Kind-Themen. Aber auch Palliativ-Pflegekräfte und pflegende Angehörige sagen, dass unsere Mittel sehr wertvoll für ihre Arbeit sind.
Was bringt die Zukunft? Wie geht es weiter?
Mit 66 Jahren bin ich jetzt offiziell in Rente und habe tatsächlich bereits meine ersten Rentenzahlungen erhalten. Ich verbringe gerne Zeit in der Natur, besonders in den Bergen, im Urlaub mit Vorliebe in Südtirol und auf Korfu. Was die Bahnhof-Apotheke betrifft, habe ich das große Glück, dass mein Sohn Alexander nach seiner Sportkarriere Lust hatte hier einzusteigen. Wir haben zusammen eine OHG gegründet, weil ich mit ihm und unserem Team sehr gerne weiter intensiv arbeiten will. Für die OHG habe ich ihm zehn Jahre Begleitung zugesagt, wenn dies möglich ist. Damit sich das Unternehmen gut steuern lässt, bauen wir seit zwei Jahren eine Führungsebene auf – was wir bisher nicht hatten. Den Prozess begleiten wir engmaschig mit Kommunikationstrainings. Dabei gilt: Wenn wir ein Zukunftsthema haben und uns nicht einig sind, entscheidet Alexander. Denn meine Verantwortung war der Aufbau, seine ist die Zukunft.
Surprising Facts
Wusstet ihr, dass…
… die Bahnhof-Apotheke Medikationsanalysen und Messungen macht? Menschen, die mehrere Arzneimittel bekommen, können die Zusammensetzung analysieren lassen. Auch Blutdruck, Blutzucker etc. können bestimmt werden.
… dass PurNatur selbst hergestelltes Eis anbietet? Ursprünglich sollte es eine Milchstation werden, doch das war regulatorisch nicht zu machen. Jetzt gibt’s stattdessen hausgemachte Eiscreme in verschiedenen Sorten.
… das man ab einem Einkauf von 25 Euro umsonst parken kann? Egal ob man in der Apotheke oder im PurNatur oder an beiden Stellen einkauft: Sobald ein Wert von 25 Euro erreicht ist, ist Parken im nahegelegenen Parkhaus für 50 Minuten kostenfrei.
… dass die Bahnhof-Apotheke eine Akademie für alle hat? Für Eltern, pflegende Angehörige und viele andere Interessierte geben mehr als 50 professionelle Referent:innen Kurse für einen gesunden Alltag: www.bahnhof-apotheke.de/akademie/akademie
Fotos: Bahnhof-Apotheke